Heinrich

Dicker!

Eigentlich unschön, wenn die Vorgeschichte länger ist als das eigentlich Erzählenswerte, aber hilft ja alles nix.

Ich bin dünn. Nicht dürre, nicht so ein bisschen schlank oder einfach nur groß, nein, ich bin dünn. Als ich noch jünger war, also sehr viel jünger, so etwa anderthalb oder zwei Jahre, da war das anders. Niemand musste sich Sorgen um meine Gesundheit machen, im Westen hätte ich für 3,8-fettprozentige Alpenmilch Reklame machen können oder für Breiglasfressalien, derart wohlgenährt und kugelrund ließ ich mich auf heute leicht zerkratzten Schwarzweißbildern abbilden.

Ein ähnlicher Meister Propper ist gerade unser Sohn. Wenn er sein Abendfläschchen intus und den Schönheitsschlaf in Aussicht hat, könnte er glatt in einem Barockgemälde den gleichermaßen rund- wie rotwangigen Oberengel geben. Und ich kann niemandem richtig böse sein, der uns beide so sieht und dabei die Assoziation Dick und Doof nicht unterdrücken kann.

So hat sich denn die eigentliche Unsitte eingebürgert, dass er ab und an Dicker gerufen wird. Ich kann nur hoffen, dass wir bis zum bulimiegefährdeten Alter einen unverfänglicheren Spitznamen finden, aber jetzt ist er eben unser Dicker.

So, nun zum Wesentlichen: Während unseres jüngsten SEK-Einsatzes war Charlotte offenbar noch nicht ganz bei sich, sondern mehr noch im Lummerland. So setzte ich sie und ward fälschlicherweise begrüßt mit: "Oh, Dicker!"

Mein Dünnigkeitskomplex, so es ihn denn je gegeben hat, war auf einmal verschwunden, mit Freudentränen in den Augen musste ich Lotti drücken, und ich habe es mir verkniffen, die Schlaftrunkene über meine wahre Identität aufzuklären. Nur ihre Mutter lachte lauthals ob der offenkundigen Verwechslung. Und sie hat es vermieden, mich weiter so zu nennen.

Noch.

angel
foto_flickr

Horror im Kinderzimmer

Geht ganz einfach:
  • man produziere eine alltägliche Eltern-Kind-Idylle, so mit Liebsein, Späßchen machen, ein paar Streicheleinheiten, Vögelgezwitscher und nasekitzelnden Sonnenstrahlen
  • auf emporkriechende Kindsmüdigkeit reagiere man souverän mit sofortigem Abdunkeln des Raumes und weiteren ritualisierten Einschlafsvorbereitungen, z.B. Kind ins Bett legen
  • abschließend ziehe man die Spieluhr auf und schicke sich an, aus dem Raum zu schweben
  • weil die Spieluhr nicht funktioniert, verberge man seine aufkommende Nervosität und suche schleunigst die natürlich parat liegende Ersatzspieluhr
  • dass die Ersatzspieluhr natürlich nicht parat liegt, sollte man nicht durch lautstarkes Fluchen kundtun
  • weil man im Halbdunkel endlich irgendwann auf die Ersatzspieluhr getreten ist, kann man den plötzlichen Fußschmerz gerne mit exzessivem Indiefaustbeissen absorbieren
  • und jetzt der wahre Horror: nach dem Aufziehen der Ersatzspieluhr löst die Erstuhr ihre Spielblockade, und es bimmelt zweistimmig. Da leider die Melodien zwei recht unterschiedliche sind, entsteht ein Klanggebilde, das in seiner unheilvollen Gegenläufigkeit jedem dahergelaufenen Suspense-Thriller eine zweieinhalbfache Gänsehaut aufs Zelluloid zaubern würde.
Also nicht, dass mir das mal passiert wäre.

An der Flasche

Wann, außer beim täglich Flasche geben, hat mann noch die Muße, die kleinen großen Dinge des Lebens zu entdecken.

Zum Beispiel die winzigen Schweißtröpfelein, die sich auf der Nase des Milchsäuglings bilden, wenn er sich mal zehn Minuten angestrengt hat. Oder die Stubenfliege, deren Rüssel gierig auf der punktkleinen Stelle andockt, die seit dem Mittag möhrenbreidurchtränkt ist.

Sehr aufschlussreich auch die Beobachtung, dass Schlucken und Augenoffenhalten bei Babys offenbar zwei vollkommen unabhängige Tätigkeiten sind: Innerhalb von einer Viertelstunde sinken die Lider, geschluckt wird aber fleißig weiter. Fast meinte ich schon ein angedeutetes Schnarchen zu bemerken - aber geschluckt wird weiter. Bis die Flasche leer ist.

Schade eigentlich. Meinen ich und er.

Der Socken-Houdini

Heinrich ist ein erklärter Sockengegner. Ist das im hohen Sommer noch verständlich - man will als Jungmann schließlich keine Grundlagen für spätere Schweißfußprobleme legen - stellte sein Fußbekleidungsphobie im Herbst bereits eine Herausforderung für alle aufmerksamen Eltern dar.

Zumal Erkältung und barfuß bei Kleinstkindern zwei sich eigentlich so was von ausschließende Zustände sind. Sein sollten. Theoretisch.

Heinrichs Sockenausziehtechnik entwickelt sich zudem analog zur Anzahl der Sockenschichten, die wir ihm aus der naiven Annahme überstülpen, eine von drei wird schon aufm Fuß bleiben. Falsch. Er rubbelt und schrubbelt und jackelt und wackelt - vermutlich ist er bald in der Lage, Houdini-gleich ein Ganzkörper-catsuit in weniger als 30 Sekunden zu verlassen. Vielleicht sollten wir in den nächsten fünf Jahren besser nicht mit ihm in den Zirkus gehen.

Ich vermute auch, er wird das Sitzen, Rollen, Stehen, Laufen, Springen und wohl auch Lesen und Schreiben nur deshalb schnell erlernen, weil er eine noch schnellere Methode zur Fußbefreiung sich ertüftelt.

Nun ja. Es gibt Schlimmers.

Ich drehe schon seit Stunden ...

Männer mögen Autos. Auch die kleinen. Männer.

Nicht anders ist es zu erklären, dass Junior-Heinrich neuerdings jedes Stoppen des Familienvans mit nörgeligem Gekrächze quittiert. Und zwar auf die Sekunde.

Auto hält: Bäääääääähhhhhhhhhhhhh! Ampel Gelb, Auto ruckt an, Stille.

Sofort.

So kam es, dass ich die Heimatstadt vorgestern neu entdeckte. Die Frau ging Kinderhosenumtauschen, Heini schrie, Papa fuhr. Und fuhr. Und fuhr. Fuhrfuhrfuhr. Rechts und links und geradeaus. Ich sah Orte, die ich zum letzten Mal in einem anderen politischen System gesehen hatte. Mitten an einem Wochentagsvormittag cruiste ich mit meinem Sohn quer durch die Provinzinnenstadt, das Radio war still, die Sonne schien.

Aber ich fuhr.

Nach einer Viertelstunde - und so groß ist die Stadt nicht - war er eingeschlafen. Ich war theoretisch in der Lage, mit einem Stift und Papier die Stadt topographisch eins-a zu skizzieren. Nur die Kinderhosen, die gab es nicht mehr in der richtigen Größe. Aber ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss: Auto fahren. Und sei es, um Ruhe zu stiften. Es war eine seelige Ruhe, eine himmlische.

Doch irgendwann musste ich anhalten.

Salzwasserluft

Als ich so schlendernderweise den Kinderwagen am Ufer des großen Meeres in Richtung Nachmittagssonne schob und alle paar Minuten ob des in konzentrierter Salzwasserluft tief schlummernden Kleinsohns urplötzlich kurz in Melancholie verfiel, da hoffte ich jedes Mal, dass er diese starke Bindung zur offenen See bitteschön doch von seinem Vater erben sollte.

Zwischendurch wichen ich und der Wagen immer wieder mal der einen oder anderen frech vorpreschenden Welle aus. Wir sind aber trotzdem nass geworden.

Schön.

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